Von Schmerzteufeln ständig geplagt

(Bericht in der Zeitschrift „Abseits!“ Ausgabe 5/2008 Seite 9)

Chronische Schmerzen: Ihre Ursachen und Therapie

Hintergrundinformationen von Susanne Meyer

Die Medizin unterscheidet zwischen akutem und chronischem Schmerz. Ersterer weist auf eine drohende oder bereits eingetretene Gewebeschädigung hin. Er hat eine wichtige biologische Warnfunktion, hält nur kurze Zeit an und klingt nach Beseitigung der auslösenden Ursache rasch ab. Von chronischem Schmerz spricht man, wenn der Schmerz länger als sechs Monate anhält oder immer wiederkehrt. Ursache hierfür können unheilbare Erkrankungen wie zum Beispiel bösartige Tumore oder Rheuma sein. Oft ist jedoch kein Zusammenhang mehr zwischen dem Schmerz und der Schädigung bzw. der Erkrankung, die einst den Schmerz auslöste, erkennbar. Der Schmerz hat seine Warnfunktion verloren und ist zu einem eigenständigen Krankheitsbild geworden. Schätzungen zufolge leiden in Deutschland rund sechs Millionen Menschen an chronischen Schmerzen und bei 500.000 bis 600.000 Patienten liegt ein schwer therapierbares Schmerzsyndrom vor. Rückenschmerzen stellen die häufigste Form chronischer Schmerzen dar, Kopfschmerzen stehen an zweiter Stelle. Die Lebensqualität der Schmerzpatienten ist erheblich beeinträchtigt. Als besonders gravierend gelten die psychosozialen Folgen (Vereinsamung, Depression). Mehr als acht Millionen Deutsche leiden unter chronischen Schmerzen. Vor allem Kopf- und Rückenschmerzen lassen die Betroffenen immer wieder zur Tablette greifen, was angesichts der Nebenwirkungen für Magen, Leber und Nieren keine adäquate Lösung ist. Einen Ausweg aus der Schmerzspirale bieten heute jedoch moderne Schmerztherapien. Sie nutzen neben Medikamenten auch Verhaltenstherapien und Entspannungsverfahren. Was chronische Schmerzen wirklich bedeuten, kann nur jemand nachvollziehen, der selbst an ihnen gelitten hat oder leidet. Die Betroffenen können in der Regel ihren Beruf nicht mehr ausüben, leiden unter Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit und Erschöpfung. Die Folge: Sie vernachlässigen oft ungewollt Partner und Freunde, geraten in soziale Isolation. Typisch für chronische Schmerzpatienten ist auch, dass sie jegliche Lebensfreude verlieren und depressiv werden.
Wer erst einmal unter chronischen Schmerzen leidet, hat allerdings oft große Probleme, den richtigen Arzt zu finden. Deutschland – so die Meinung vieler Schmerztherapeuten – ist ein Entwicklungsland, wenn es um die Versorgung von Patienten mit chronischen Schmerzen geht. 800.000 Patienten gelten bei uns als behandlungsresistent, das heißt, ihnen kann nicht mit einfachen Schmerzmitteln geholfen werden. Bei ihnen hat sich bereits ein sogenanntes Schmerzgedächtnis im Nervensystem gebildet. Und das ist mit normalen Mitteln und Methoden nicht zu löschen. Man brauchte dafür gut ausgebildete Schmerztherapeuten, doch die sind rar. So kurios es klingt, aber eine spezielle, standardisierte Ausbildung in der Schmerzbehandlung gibt es auch heute noch nicht an deutschen Universitäten. Und so verschreiben Hausärzte auch meist nur Schmerzmedikamente und versuchen, allein körperliche Symptome zu behandeln. Doch das Phänomen Schmerz betrifft auch die Psyche, die Schmerzwahrnehmung und Schmerzverarbeitung. Und wenn die Schmerzen dann immer wiederkehren, laufen die Leidgeplagten in ihrer Hoffnungslosigkeit von einem Hausarzt zum nächsten. Wirkliche Hilfe finden chronische Schmerzpatienten heute vor allem in Schmerzambulanzen oder speziellen Schmerzkliniken. Sie bieten umfassende, moderne Therapiekonzepte an, zu denen neben spezieller medikamentöser Behandlung auch Verhaltenstherapie und Entspannungstraining gehören. Das Stichwort lautet: ganzheitliche Schmerztherapie. Leider gibt es bisher nur knapp 500 Einrichtungen, die eine spezielle Schmerztherapie anbieten. Gut die doppelte Anzahl wäre nötig.
Wie entwickelt sich eine Schmerzkrankheit? Am Anfang steht in den meisten Fällen eine körperliche oder seelische Verletzung oder eine Entzündung, die mit akuten Schmerzen einhergeht. Chronische Schmerzen können entstehen, wenn die ursprüngliche Erkrankung mit oder ohne Gewebeveränderungen chronifiziert, wenn durch neuroplastische Veränderungen das Nervensystem dauerhaft überaktiv bleibt, wenn die akute Verletzung / Entzündung zu Verhaltensänderungen (Schonhaltungen, muskuläre Verspannungen, Ängste, Depressionen etc.) führt, die eine Chronifizierung begünstigen, oder wenn ein „akuter seelischer Schmerz“ nicht „abheilt“.
Oft treten Kombinationen der verschiedenen Faktoren auf. Die Behandlung muss auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten zugeschnitten sein, um in jeder Stufe Schmerzfreiheit zu erreichen. Man muss Schmerzen nicht aushaken, sondern rechtzeitig mit der nächsten Stufe beginnen, damit das Schmerzgedächtnis den Schmerz nicht einprogrammiert.